Was war der in jüngster Zeit abfälligste Blick eines Politikers, der von Kameras eingefangen wurde? Genau – der Blick Platzecks nach den Äußerungen des neuen BER-Chefs Mehdorn: „Muss man Tegel wirklich schließen? Charterflüge in Tegel – was wäre so schlimm daran? Ist nicht so viel, die fliegen auch nicht nachts. Schlauer werden ist ja nicht verboten."
Platzeck konnte noch so blöde gucken und Mehdorn vor laufenden Kameras wie einen dummen Jungen behandeln, das „Tegel – Tabu“ war gebrochen. Plötzlich wurde nicht mehr nur im kleinen Taxi-Kosmos über das dauerhafte Offenhalten des Flughafens Tegel diskutiert, jetzt fand sich die Diskussion über rechtliche Grundlagen und das Pro und Kontra eines parallelen Weiterbetriebs von TXL auf den Titelseiten nicht nur der Berliner Presse.
Als ich in der ersten Ausgabe der taxinews diesen Jahres im Februar zum ersten Mal zum Umdenken in der Flughafenplanung anregte und in der folgenden Ausgabe dann prominente Befürworter für einen Weiterbetrieb Tegels ins Feld führte, hätte ich mir Unterstützung vom BER-Chef wirklich nicht träumen lassen. Doch mit seinem Vorstoß war das Thema natürlich sofort in den Schlagzeilen.
Platzeck steht danach natürlich nicht der Sinn und Wowereit muss diplomatisch bleiben. Doch Mehdorn ist bekannt dafür, keine Rücksicht zu nehmen. Jeder, der Herrn Mehdorn kennt weiß, dass der so etwas nicht mal eben so daher plaudert. Er hat damit ganz bewusst eine bis dahin verbotene Diskussion angeschoben und Denkverbote ignoriert. Ich bedanke mich dafür ganz herzlich bei dem Mann, der zwar als Bahn - Chef unsere S - Bahn den Interessen des Konzerns fast opferte, der jetzt aber zum Retter des letzten Berliner Flughafens werden und damit aktiv Wiedergutmachung betreiben könnte.
„Tegel ist das Beste und Berlinischste, was die Stadt zu bieten hat: ein bisschen unperfekt, nicht immer gutgelaunt, meistens gelassen und garantiert unkaputtbar.“ Diesen Blick warf REGINA MÖNCH am. 09.03.2013 in der „F.A.Z“ auf unsere Stadt und sang „Ein Loblied auf Tegel“. Vielleicht können wir aus ihrer Sicht, auch auf uns Berliner, wieder ein wenig Selbstvertrauen gewinnen, das verhindern könnte, jegliche Eigeninteressen zu Gunsten Brandenburgs zu opfern.
Sie lobt die Tegelanwohner für ihre Ruhe, mit der sie Verzögerungen der Schließung von TXL annahmen. Der „Aufruhr“ blieb ihres Erachtens aus, da Berliner „belastbarer, krisenerprobt und daran gewöhnt (sind), dass man sie für schmerzunempfindlich hält.“ Sie erklärt uns auch, weshalb Tegel so „ein geliebter Flughafen“ ist: „Man fährt vor, steigt aus dem Bus oder dem Taxi, nimmt die Koffer, geht durch die Tür, schon ist man an einem der Check-in-Schalter, und wenig später geht es los. Tegel war ein Ort zum Wegfliegen oder Ankommen, unprätentiös, mühelos - und sonst gar nichts.“
Nach Mehdorns Vorpreschen wurden flugs Umfragen gestartet. Eine exklusive BILD-Umfrage ergab, dass „60 Prozent der Berliner wollen, dass Tegel offen bleibt! (…) Lediglich 24 Prozent der 1050 Befragten befürworten die geplante TXL – Schließung. Die Umfrage zeigt: Besonders die jungen Berliner zwischen 18 und 39 Jahren wünschen sich, dass der Flughafen Tegel auch in Zukunft offen bleibt. 67 Prozent sprachen sich dafür aus, nur 15 Prozent dagegen. Der Rest ist noch unschlüssig.“ (Quelle BILD.de, 15.03.2013 - 23:55 Uhr). Fazit dieser Umfrage laut BILD: „Die Debatte um Tegel hat wohl erst begonnen...“
„Mehdorn versetzt Berlin in Aufregung – und trifft auf offene Ohren“, hält dann auch Viktoria Solms am 19.03. in der Zeitung „Die Welt“ fest. „Plötzlich debattiert Berlin wieder über Tegel. (…) Die Berliner lieben Tegel. Der Weg ist kürzer und das Taxi billiger“.
Warum reden bei Mehdorns Vorstoß alle von einem „Tabu-Bruch“? Bevor die Entscheidung für den Standort Schönefeld gefallen war, „hatten Berlin und der Bund (jahrelang) mit Brandenburg gerungen: Am Ende gab es eine Einigung auf den Standort Schönefeld (nicht Sperenberg) und eine Kröte, die Berlin schlucken musste: Wenn BER, dann muss neben Schönefeld und Tempelhof auch Tegel schließen. Tausende Berliner reagierten entsetzt: Bürgerinitiativen protestierten, Airlines und Bürger klagten gegen den BER vor Gericht. Erst nach Jahren kehrte Ruhe ein. Ein möglicher Weiterbetrieb Tegels wurde zum politischen Tabu.“ (Quelle: http://www.bz-berlin.de/service/flughafen-berlin-brandenburg/liebling-tegel-jeder-2-berliner...)
Wie wir heute alle wissen, wurde bei den Planungen für den BER die Entwicklung Berlins und damit des Flugverkehrs offensichtlich völlig unterschätzt. Schon jetzt zieht Berlin Massen von Touristen aus der ganzen Welt an. Da im letzten Jahr in TXL und SXF zusammen bereits 25 Millionen Passagiere abgefertigt wurden, ist heute schon klar, dass der für 27 Millionen geplante BER nicht ausreichen und bereits vor Inbetriebnahme erweitert werden müsste. Die dazu erforderlichen Investitionen sind wirtschaftlich aber nicht mehr zu begründen und ein paralleler Weiterbetrieb von TXL ein sinnvoller Ausweg.
Experten aus Luftfahrt und regionaler Wirtschaft ergreifen daher zunehmend Partei für Tegel. Neben dem Flughafen-Experten Dieter Faulenbach da Costa, der schon sehr früh öffentlich an der herrschenden Strategie zweifelte, werden nun überall in der Wirtschaft Bedenken laut. Der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin und Brandenburg, Christian Amsinck, äußert sich dazu wie folgt: „Die Hinweise auf das längere Offenhalten des Flughafens Tegel, beispielsweise für Geschäftsflieger, entspringt der Sorge, dass Berlin unwiderruflich einen Standortvorteil aufgibt und seine Wachstumsmöglichkeiten einschränkt.“ (Quelle: http://www.bz-berlin.de/service/flughafen-berlin-brandenburg/liebling-tegel-jeder-2-berliner...) Der Verband der Geschäftsflieger befürchtet schon lange, dass es auf dem BER für ihre Firmenjets zu eng werden könnte. Nachdem Tempelhof dicht ist, bleibt Tegel ihre letzte Hoffnung.
Die Stadtnähe hat auch für Regierungsmitglieder ihren Reiz. Darum ist zu erwarten, dass auch hier die Stimmen lauter werden, die Flugbereitschaft der Bundeswehr statt am BER in Tegel zu stationieren. Abgesehen von den Interessen der Politiker würde dies auch eine verkehrliche Entzerrung bedeuten, da die Autobahn A115 am Dreieck Neukölln und im Britzer Tunnel schon heute oft dicht ist. Diese wichtigste Verbindung zum BER und auch alle Umgehungsmöglichkeiten sind unzureichend für die Flughafenverkehre eines Single-Airports für Berlin. Stellen Sie sich jetzt noch zusätzliche Sperrungen bei Staatsbesuchen vor, die dann quer durch die Stadt gehen würden. Nahezu alle Hauptverkehrsadern würden dabei lahmgelegt.
Auch die „Promi-Dichte“ bei den TXL- Schwärmern wird immer höher. Neben Filmproduzentin Regina Ziegler, Schauspielerin Mariella Ahrens, Ex-Box-Weltmeister Arthur Abraham und Gastro - Impresario Hans-Peter Wodarz („Wir hatten einmal sechs Start- und Landebahnen, dann werden es zwei sein. Berlin wird immer beliebter, der Tourismus ist die stärkste Wirtschaftskraft. Deshalb brauchen wir mehr als nur einen Flughafen.“) ist auch der Berliner Unternehmer Hans Wall für das Fortbestehen des Flughafen Tegels: „Vor allem für Geschäftsreisende ist es wichtig, an zwei Standorten in Berlin landen zu können. Und warum soll eine Weltstadt nur einen Flughafen haben, wenn zwei möglich sind?“
Quelle: http://www.bz-berlin.de/service/flughafen-berlin-brandenburg/liebling-tegel-jeder-2-berliner...)
In der Berliner Zeitung vom 27.03. legt sich Peter Neumann aber fest und titelt: „Keine Hoffnung für Tegel-Fans“. Eine BER – Sonderkommission des Verkehrsministeriums war zu dem Ergebnis gekommen, dass „Ein Verfahren zur Wiedereröffnung des Tegeler Flughafens (…) mindestens zehn Jahre dauern (würde). (…) Das hieße: Bis die Genehmigung für einen Weiterbetrieb vorliege, müsste Tegel auf jeden Fall erst einmal geschlossen werden.“ Die Experten kommen zu dem Ergebnis, dass die juristische Lage eindeutig sei und selbst ein gemeinsamer Wille von Berlin, Brandenburg und dem Bund, den Flughafenbetrieb in Tegel fortzusetzen, „ohne ein neues Planfeststellungsverfahren, ohne erneute Widmung und einer Neuerteilung der Betriebsgenehmigung nicht möglich“ wäre. Nach Einschätzung der Kommission „(gilt) die Entwidmung (…) auch für Geschäftsflieger und andere kleine Flugzeuge“.
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wollte erst überhaupt keine Diskussionen über die rechtlichen Grundlagen zulassen und bezeichnete den geltenden Planfeststellungsbeschluss als "so gut wie in Eisen gegossen". Zum Einen missachtet er damit ein wesentliches Merkmal einer Demokratie, in der die Politik den Willen des Volkes zu vertreten hat und auf veränderte Verhältnisse reagieren muss. Zum Andern geht er damit in Widerspruch zu seiner eigenen Haltung im Zusammenhang mit seiner Wende beim Nachtflugverbot am BER, die er noch damit begründet hatte, dass Absprachen auch verändert werden könnten.
Auch aus dem Bundesverkehrsministerium kommt ein klares Veto gegen neue Planspiele. Verkehrsminister Ramsauer und Staatssekretär Rainer Bomba lassen in ihren Stellungnahmen keinen Zweifel an der rechtlich für sie eindeutigen Situation aufkommen, der zur Folge eine Schließung Tegels unausweichlich ist.
Bedeutet dies jetzt das endgültige aus für TXL in 2015, wenn der BER eröffnet werden soll? Muss nun auch der neue Flughafenchef kleinlaut den Rückzug antreten? Mitnichten, sonst hätten wir es nicht mit Hartmut Mehdorn zu tun.
Vor dem Hintergrund Mehdorns Überlegungen hatte der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Lindner gemeinsam mit zwei Parlamentskollegen, von Juristen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags die Chancen zur Offenhaltung Tegels prüfen lassen. In der „Berliner Morgenpost“ vom 21.03. kommentierte Viktoria Solms dieses Gutachten, das zwar auch „hohe Hürden“ für einen Weiterbetrieb von TXL feststelle, durchaus aber auch Chancen sehe, die durch das Wirken Mehdorns genutzt werden könnten.
Soll die „Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Betriebsgenehmigung für Tegel nicht wie vorgesehen widerrufen, sondern sie verlängern, (…) müsse als erstes die Flughafengesellschaft überhaupt einen entsprechenden Antrag für den weiteren Betrieb von Tegel stellen.“ Und genau das ist Mehdorns Job. Auf Initiative der Flughafengesellschaft muss unser Senat tätig werden und kann bestehende Planungen an die neuen Gegebenheiten anpassen; die Betriebsgenehmigung für TXL verlängern und in deren Folge „den Landesentwicklungsplan anpassen“, auf dem „wichtige verkehrspolitische und bauliche Entscheidungen (basieren)“, so auch die Entscheidung für „BER als einziger Großflughafen in der Hauptstadtregion“. (Quelle: Berliner Morgenpost vom 21.03.2013 „Gutachten: Weiterer Betrieb von Tegel wäre rechtlich möglich“, von Viktoria Solms).
Sollte von der Flughafengesellschaft diese Initiative nicht ausgehen, könnte auch ein anderer Betreiber, der TXL gerne weiter betreiben möchte, einen solchen Antrag stellen.
Sollte der BER "nie" fertig werden, darf TXL auch schon nach dem derzeit gültigen Bescheid "dauerhaft" weiterbetrieben werden. Genau genommen, solange nicht die neue Startbahn - Süd des BER in Betrieb geht. Selbst wenn alles andere am BER eröffnet wäre. Da es um eine „bereits bedingt widerrufene Betriebsgenehmigung“ von TXL geht, ist die Luftfahrtsbehörde da flexibel. „TXL bliebe bis zur Entwidmung aus dem Fachplanungsrecht zunächst weiter planfestgestellt.“ (Quelle: https://lqpp.de/be/suggestion/show/2655.html)
Im Februar titelte ich meinen Denkanstoß mit „I love TXL…und sicher nicht nur ich!“ Zumindest dies hat sich eindrucksvoll bewahrheitet. Michael Neumann hat selbst in seinem Abgesang auf TXL am 27.03. in der Berliner Zeitung deutlich gemacht: „’I love TXL’ – ich liebe Tegel. Das ist ein Motto, dem sich nicht nur Politiker der FDP und CDU, sondern auch viele andere Berliner anschließen können.“ Wenn der Realität jetzt nicht Rechnung getragen wird, wird Berlin nicht nur ein weiteres Stück Identität verlieren, es wird mittelfristig ein harter Schlag für die Konkurrenzfähigkeit des Standortes Berlin sein.
„Die entstandenen Probleme kann man nicht durch Sturheit und Ideologien lösen, sondern nur durch Fakten“, fasst Frank Steffel (CDU) zusammen. „Wenn die Planungsgrundlagen des Jahres 1996 unverändert fort gelten und Schönefeld ausreicht, ist eine Neubewertung der Situation unnötig. (…) Sollten sich die Planungsprämissen heute aber als falsch herausstellen und Schönefeld zu klein sein, muss die Flughafengesellschaft die Konsequenzen ehrlich darlegen“, so der CDU-Abgeordnete. (Quelle: Berliner Morgenpost vom 21.03.2013 „Gutachten: Weiterer Betrieb von Tegel wäre rechtlich möglich“, von Viktoria Solms)
Don’t stop, Mehdorn - Please go on.
Das wünscht sich für den Wirtschaftsstandort Berlin im Allgemeinen
und das Berliner Taxigewerbe im Besonderen,
Ihr Stephan Berndt.